Viele Betreuungsvereine stehen vor dem Aus
Düsseldorf/Münster/Goch, 12. Juni. Rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland benötigen eine rechtliche Betreuung. Sie können ihr Leben nicht mehr alleine regeln. Die evangelischen Betreuungsvereine stehen ihnen zur Seite, schulen Ehrenamtliche und beraten Angehörige. Doch immer mehr der rund 50 Vereine zwischen Bielefeld und Saarbrücken müssen aus finanziellen Gründen schließen, bislang sind es fünf. Dabei wurde auf Bundesebene im Mai 2017 beschlossen, dass es mehr Geld für diese wichtige Arbeit geben soll. „Wir fordern die NRW-Landesregierung auf, sich für die Umsetzung des beschlossenen Gesetzes einzusetzen“, betont der Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe, Christian Heine-Göttelmann gemeinsam mit der Freien Wohlfahrtspflege NRW. „Sonst wird es unsere Vereine bald nicht mehr geben.“
Die seit 2005 mit 44 Euro pro Stunde unveränderte Betreuervergütung begründet auch für den Betreuungsverein der Diakonie im Kirchenkreis Kleve ein strukturelles Defizit von jährlich 180.000 Euro. Der Betreuungsverein muss zu rund einem Drittel aus Kirchensteuern subventioniert werden. „Rein wirtschaftlich ist dies für eine dem Grunde nach gesetzliche Aufgabe nicht zu verantworten, zumal Bund und Land aufgrund der aktuell sehr guten Steuereinnahmen problemlos in der Lage wären, eine auskömmliche Refinanzierung der Betreuungsvereine sicher zu stellen“, meint Diakonie-Geschäftsführer Joachim Wolff. Er weist darauf hin, „dass die geforderte Erhöhung der Betreuervergütung auf 52 Euro das Finanzierungsproblem der Vereine nicht vollständig beheben wird. Erst 65 Euro pro Stunde wären kostendeckend.“ Für Wolff wäre die Erhöhung der Betreuervergütung ein wichtiges Signal des Gesetzgebers, dass er am Fortbestand der Vereinsbetreuungen und dem wichtigen bürgerschaftlichen Engagement der ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer ein ernsthaftes Interesse hat.
Wie lange die Kirchengemeinden als Mitglieder der Diakonie bereit sein werden, den Betreuungsverein in dieser Größenordnung mit Kirchensteuermitteln zu subventionieren, vermag Diakonie-Geschäftsführer Joachim Wolff nicht abzuschätzen. Ohne ein positives Signal aus Berlin werden auch ihm bald die Argumente für den Fortbestand des Betreuungsvereins ausgehen, der Jahr für Jahr mit rund 180.000 Euro unterfinanziert ist.
Nach wie vor gehört der Betreuungsverein der Diakonie im Kirchenkreis Kleve zu den größten im Land. 557 Ehrenamtliche betreuen 859 Personen (Stichtag 31.12.2017). Zudem werden mit der gesetzlich vorgeschriebenen Bevölkerungsinformation zu den Themen Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung jährlich rund 400 Personen erreicht, ohne dass dies zusätzlich finanziert wird.
Der Bundesrat blockierte das Gesetz zur Erhöhung der Betreuervergütung mit dem Argument, vor einer Zustimmung die Studienergebnisse zur Qualität der rechtlichen Betreuung abwarten zu wollen. „Diese Ergebnisse liegen seit Januar vor und bestätigen die Unterfinanzierung“, so Christian Heine-Göttelmann, der auch Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist. Er vermutet, dass der Bundesrat das Gesetz nicht auf die Tagesordnung nimmt, weil die Justizkassen der Bundesländer für die Erhöhung der Stundensätze aufkommen müssen.
Andererseits habe das Land NRW gerade die Fördermittel für die Schulung und Begleitung ehrenamtlicher Betreuer sowie die Beratung von Familienangehörigen, die eine rechtliche Betreuung ausüben, auf fünf Millionen Euro erhöht. „Diese Querschnittaufgabe leisten nur Betreuungsvereine. Sie bricht aber weg, wenn die Vereine schließen.“ Letztlich werde die rechtliche Betreuung damit für die Gerichte teurer, da sie auf viele Ehrenamtliche verzichten müssten.
In NRW tragen die Sozialverbände der Freien Wohlfahrtspflege derzeit 170 Betreuungsvereine mit rund 1.000 Mitarbeitenden. 2015 waren es noch 181. Bei der Diakonie RWL sind bereits fünf der insgesamt 50 Vereine aus finanziellen Gründen geschlossen worden. In Köln wird gerade einer der ältesten und größten evangelischen Betreuungsvereine abgewickelt. „Fast alle sind in ihrer Existenz bedroht“, beobachtet Waltraud Nagel, die bei der Diakonie RWL für die evangelischen Betreuungsvereine zuständig ist. In der Regel landeten dort die schwierigen Fälle. Für sie sei nicht nur eine gute Kenntnis der Rechtslage erforderlich, sondern auch sozialpädagogische Kompetenz. „Jeder Betreuungsverein ist gut mit anderen sozialen Hilfen vernetzt. Unsere rund 300 Sozialarbeiter wissen, wie sie auch in schwierigen Situationen unterstützen und motivieren können.“
Die Mitarbeitenden regeln die finanziellen Angelegenheiten ihrer Klienten, helfen beim Umgang mit Behörden, kümmern sich um Versicherungen, Mieten, Renten, Heim- und Klinikaufenthalte. Ein Angebot, das immer stärker nachgefragt wird. „Die Zahl demenzkranker, behinderter oder psychisch erkrankter Menschen, die auf eine professionelle rechtliche Betreuung angewiesen sind, nimmt zu“, betont Christian Heine-Göttelmann. „Deshalb brauchen wir die Betreuungsvereine dringender denn je.“