Ein neuer Arbeits-Alltag

Dirk Boermann, Fachbereichsleiter Ambulant Betreutes Wohnen der Diakonie im Kirchenkreis Kleve

Durch „Corona“ ändert sich der Alltag vieler Mitarbeitender der Diakonie. Stefan Schmelting hat nachgefragt bei Dirk Boermann, er ist Fachbereichsleiter des Ambulant Betreuten Wohnens. Er und die Mitarbeitenden unterstützen Menschen mit Behinderungen und in schwierigen sozialen Lagen. Ihr Ziel: Menschen ermöglichen, eigenständig wohnen zu können.

Herr Boermann, wie hat sich Ihr Alltag durch „Corona“ geändert?

Mein persönlicher Arbeitsalltag hat sich sehr geändert. Wir treffen uns seit Beginn der Corona-Krise beinahe täglich im Krisenstab. Die zahlreichen Erlasse müssen umgesetzt und Arbeitsprozesse so angepasst werden, dass die Mitarbeitenden und die Nutzer unseres Angebots möglichst gut geschützt sind. Andere Treffen mit Arbeitskreisen, Hilfeplankonferenzen und Gremien sind dafür weggefallen. Es gibt auch deutlich weniger dienstliche Anfragen von Behörden und rechtlichen Betreuern. Dafür gibt es einen hohen Gesprächsbedarf mit und zwischen den Mitarbeitenden.

Wie gehen die Mitarbeitenden mit der Situation um, was müssen sie im Kontakt mit den BeWo-Nutzern beachten?

Die Mitarbeitenden gehen sehr professionell mit der Situation um und sind weiter engagiert bei der Arbeit. Das Wichtigste, um die Weitergabe von Infektionen zu verhindern, ist, physisch Abstand zu halten – mindestens 1,5 Meter zu Nutzern und Kollegen. Das wird von allen beachtet. Zugleich müssen wir aber psychisch nah dran bleiben an den Menschen.

Was erschwert Corona im Alltag speziell in der Beratung und Unterstützung von Nutzern?

Wir hatten sehr früh sämtliche Gruppenangebote eingestellt. Das sind für viele unserer Nutzer eigentlich unverzichtbare tages- und wochenstrukturierende Aktivitäten, auf die sie jetzt verzichten müssen. Gerade Menschen, die an depressiven Störungen leiden oder gegen eine Sucht ankämpfen, leiden sehr unter diesem Verlust. Hier versuchen die Bezugsbetreuer*innen mit jedem einzelnen alternative Möglichkeiten zur Tagesstruktur zu finden. Eine weitere wesentliche Einschränkung ist der Verzicht auf gemeinsame Autofahrten. Gemeinsame Fahrten in Kliniken, zu Fachärzten und Ambulanzen sind deshalb im Moment nicht möglich. Das ist ein wesentlicher Einschnitt in die Versorgung. Das ist in den ersten Wochen der Corona-Pandemie nicht so aufgefallen. Auch viele Facharztpraxen waren vorübergehend geschlossen oder behandelten nur Notfälle,  Krankenhausbehandlungen wurden verschoben, aber diese Phase endet jetzt – deshalb arbeiten wir da an einer Lösung. Und natürlich ist der größere Abstand zur Betreuungsperson für manche Nutzer ein Problem.

Wie gehen die Nutzer mit der neuen Situation um?

Sehr verständnisvoll. Trotz der beschriebenen Einschränkungen hat es kaum Klagen gegeben. Es wird eingesehen, dass die Einschränkungen notwendig sind und dem eigenen Schutz dienen. Der individuelle Umgang ist wie bei allen Menschen sehr unterschiedlich. Manche ziehen sich sehr zurück und wünschen weniger Kontakt als sonst. Andere haben einen deutlich höheren Gesprächsbedarf. Viele empfinden Unsicherheiten, haben nur wenige Kontakte dadurch, dass auch ihre Tagesstruktur beispielsweise in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung weggebrochen ist.  Insgesamt hat mich die überwiegend gelassene Reaktion der Nutzer aber überrascht. Vielleicht hat dies damit zu tun, dass viele der von uns begleiteten Menschen große Erfahrungen mit Krisensituationen, mit Veränderungen und mit Ängsten haben.

Was sind Sorgen und Ängste?

Viele unserer Nutzer gehören zur Risikogruppe. Deshalb bestehen berechtigte Sorgen, dass sie sich infizieren könnten. Manche verlassen deshalb ihre Wohnung gar nicht mehr. Manche belastet es, dass nicht absehbar ist, wann wir wieder zu „normaleren“ Lebensumständen kommen.

Die Mitarbeitenden belastet die Sorge, dass zahlreiche Behandlungen, die jetzt bei Nutzern nicht erfolgen, mittelfristig sehr negative Folgen haben könnten. Auch gibt es die Sorge, dass sich Personen infizieren, die aufgrund anderer Probleme die dann vorgeschriebene Quarantäne nicht einhalten.

Was vermissen Mitarbeitende in Ihrer Arbeit und die BeWo-Nutzer am meisten?

Die Nutzer vermissen Freizeit- und tagesstrukturierende Angebote und gemeinsame Erledigungen mit dem Dienstfahrzeug am meisten. Die Mitarbeitenden vermissen den Austausch und die üblichen Teambesprechungen. Die Besprechungen sind auf das Nötigste minimiert worden, weil die Teamgruppen teilweise sehr groß sind. Zurzeit arbeiten wir daran, in kleineren Gruppen oder über Videokonferenzen wieder zu geregelterem Austausch zu kommen.

Gibt es etwas, das Sie dringend brauchen?

Wir brauchen Zuversicht und Gelassenheit. Zum Glück bringen die meisten Mitarbeitenden dies jeden Morgen mit und verteilen es großzügig. Natürlich fehlt es auch immer wieder an Mundschutz. Aber hier ist es uns über Spenden von ehrenamtlichen Helfern sowie über die Eigenarbeit von Mitarbeitenden gelungen, zurzeit ausreichend Behelfsmundschutz für die Mitarbeitenden und BeWo-Nutzer zu haben. Wir hoffen aber weiter auf Spender und Unterstützung beim Nähen, weil der Bedarf ja immer wieder neu entsteht.

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