So wichtig wie Brille oder Schuhe

Nicht alle Menschen können mal eben im Smartphone Dinge nachschauen.

Arme und benachteiligte Menschen dürfen nicht zu den Verlierern der Digitalisierung werden, fordert die Freie Wohlfahrtspflege NRW. „Wer über Einkommen und über Computer, Smartphones, WLAN und digitale Kompetenzen verfügt, der hatte es leichter in den vergangenen Monaten“, sagte der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Freie
Wohlfahrtpflege NRW, Dr. Frank Johannes Hensel, auf einem Treffen von Menschen mit Armutserfahrung in Köln.

Die Chancen der Digitalisierung seien riesig, sagte Hensel, und warnte zugleich vor der Gefahr, „dass diejenigen, die nicht mithalten können, weiter ins Abseits geraten“. Es müssten
Rahmenbedingungen geschaffen werden, die soziale Ungleichheiten abbauen. Digitale Geräte und Netzzugang seien existentiell für gesellschaftliche Teilhabe. „Sie werden so wichtig wie eine Brille oder Schuhe“, meinte Hensel. Der Staat müsse Sorge tragen für Ausstattung und Befähigung, das gehöre zur grundgesetzlich verankerten Sicherstellung des Existenzminimums. Es habe sich in der Pandemie bestätigt, dass der Digitalisierungsgrad vom Schul- und Berufsabschluss und vom Einkommen abhängig sei.

Hensel kritisierte auch behördliches Handeln in Corona-Zeiten, die im Krisenmodus vor allem auf digitale und telefonische Erreichbarkeiten umgeschaltet hätten. Dabei würden
diejenigen vergessen, die dem nicht folgen konnten. Hensel: „Jobcenter und überhaupt Ämter waren teilweise sehr schwer zu erreichen – kaum eine Chance, Anträge und
Missverständnisse zu klären. Andere wiederum haben das besser hinbekommen. Es ist einfach total schwierig, seine Existenz nur per Telefon oder Mailverkehr sichern zu müssen. Mit den dadurch bedingten Unsicherheiten und Ängsten mussten und müssen viele allein zurechtkommen.“

Wenn immer mehr Verwaltungsabläufe digitalisiert würden – wie es auch das Onlinezugangsgesetz vorsehe –, müsse dennoch sicher gestellt bleiben, dass Anträge auch persönlich abgegeben werden können. „Mit der Digitalisierung dürfen keine weiteren Barrieren hochgezogen werden, die die Erreichbarkeit von gesetzlichen Leistungen erschweren. Es muss
weiterhin die Gelegenheit geben, ein Anliegen von Angesicht zu Angesicht zu besprechen“, fordert der LAG-Vorsitzende.

Info
Das 4. Treffen von Menschen mit Armutserfahrung wurde am 15.7. in Köln von der LAG Freie Wohlfahrtspflege veranstaltet. Es brachte Menschen mit geringem Einkommen und Armutserfahrung sowie Expert*innen aus Verwaltung und Verbänden zusammen, die sich unter dem Motto #dadrücktderschuh über Schwierigkeiten und Chancen digitaler Teilhabe ausgetauscht haben.

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