Wir dürfen nicht schweigen

Präses Dr. Thorsten Latzel (c) EKiR Dominik Asbach

Düsseldorf. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Dr. Thorsten Latzel, hat dazu aufgerufen, die Opfer des Antisemitismus zu sehen und ihnen beizustehen. „Lasst uns jüdisches Leben schützen, wo immer es bedroht wird“, sagte Latzel in einer Erklärung zum 9. November. Auch rief er dazu auf, die Geiseln in Gaza und ihre Angehörigen nicht zu vergessen. Die rheinische Kirche bekenne sich zugleich „zu der bleibenden Erwählung des Volkes Israel und zu unserer engen Verbindung als Kirche mit dem Judentum“.

Die Erklärung des Präses im Wortlaut:

„Antisemitismus hat bei uns nichts zu suchen: nicht auf unseren Straßen oder Schulhöfen, nicht in Kirchen oder Moscheen, nicht an Stammtischen, nicht in Chaträumen oder bei Demonstrationen, nicht in unserem Land. Nirgendwo. Antisemitismus fällt auch nicht unter das Recht auf freie Meinungsäußerung und lässt sich mit nichts rechtfertigen. Er ist schlicht ein Ausdruck von Hass und Menschenverachtung. Dabei spielt es keine Rolle, wo er herkommt: ob von rechts oder links, von Migrant*innen oder aus der Mitte der Gesellschaft.

Als Evangelische Kirche im Rheinland widersprechen wir Judenhass in jeder Gestalt. Und wir bekennen uns zugleich zu der bleibenden Erwählung des Volkes Israel und zu den jüdischen Wurzeln unseres christlichen Glaubens.

Dass in Deutschland jüdische Mitbürger*innen jetzt wieder Angst haben, wenn ihre Kinder zur Kita gehen, wenn sie eine Kippa oder einen Davidstern am Hals auf der Straße tragen, wenn anti-israelische Kundgebungen stattfinden und Israel-Fahnen brennen, ist eine Schande.

Wenige Tage nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 begann der evangelische Pfarrer Helmut Gollwitzer seine Predigt in Berlin-Dahlem mit den Worten: ‚Liebe Gemeinde! Wer soll denn heute noch predigen? […] Ist uns nicht allen der Mund gestopft an diesem Tage? Können wir heute noch etwas anderes als nur schweigen?‘ Christinnen und Christen haben damals angesichts der Pogromnacht nicht nur versagt im Schutz von jüdischem Leben, sie waren in großer Zahl sogar mit zu Täterinnen und Tätern geworden. ‚Was hat nun uns und unserem Volk und unserer Kirche all das Predigen und Predigthören genützt, die ganzen Jahre und Jahrhunderte lang‘, fragte Gollwitzer damals.

Auch in diesen Tagen, nach dem schrecklichen Überfall der Hamas auf Israel, stellt sich mir diese Frage: ‚Was sollen wir denn heute noch predigen?‘ Auch 2023 sind Jüdinnen und Juden nicht geschützt vor kaltblütiger, grausamer Gewalt. Auch jetzt gibt es eine erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber den immer noch in der Gewalt der Hamas befindlichen mehr als 200 Geiseln. Auch heute finden wieder Angriffe auf Jüdinnen und Juden in Deutschland statt, fast 80 Jahre nach der Shoa.

Wir dürfen nicht schweigen! Wir müssen handeln, wenn unsere jüdischen Geschwister bedroht werden. Wie auch Gollwitzer damals seine Gemeinde aufgerufen hat, endlich etwas zu ändern. Endlich die Opfer zu sehen und ihnen beizustehen.

Das heißt für uns heute: Lasst uns jüdisches Leben schützen, wo immer es bedroht wird. Lasst uns die Geiseln in Gaza und ihre Angehörigen nicht vergessen. Lasst uns beten für Frieden in einem Land, das schon viel zu viel Gewalt und Krieg gesehen hat.“

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