Diakonie und Kirchenkreis zur ForuM-Studie

Goch. Es ist ziemlich schmerzhaft, was die ForuM-Studie der evangelischen Kirche und Ihrer Diakonie schwarz auf weiß präsentiert hat: In den Erfassungsbögen der Studie, die einen Zeitraum von 1946 bis 2020 umfasst, sind 1.259 Beschuldigte vermerkt, davon ein Drittel Pfarrpersonen (511). Beschuldigte aus dem Kontext der Diakonie sind 615 Personen. Ebenso zählte die Studie 2.225 Betroffene sexualisierter Gewalt innerhalb der ev. Kirche, Betroffene aus der Diakonie: mindestens 726 Personen. Und es soll „die Spitze der Spitze des Eisbergs“ sein, wie es der unabhängige Forschungsverbund bei der Präsentation der Studie am 25. Januar formulierte.

Während eines Pressegesprächs des Evangelischen Kirchenkreises Kleve bewerteten Superintendent Hans-Joachim Wefers und Diakonie-Geschäftsführer Joachim Wolff die Ergebnisse. „Die genannten Zahlen erschrecken uns. Hinter jeder Zahl steht eine Person, die in der Kirche oder der Diakonie Leid erfahren hat. Und die Studie zeigt vor allem eins: Wir sind als evangelische Kirche nicht besser als andere. „Einige der Faktoren, welche die Studie als gewalt-begünstigend speziell in der ev. Kirche beschreibt, sind: Vermischung von Privat und Dienst, Konzept des Pfarrhauses als immer offener Ort für Begegnung und Seelsorge, Machtdiffusion zwischen selbständigen Ebenen der Kirche und Harmoniesucht“, so Wefers. Letztere drücke sich einmal im Verständnis aus, „dass nicht ist, was nicht sein kann“, bis hin zur Bitte um Vergebung gegenüber Betroffenen. „Wir haben ein spezielles Verhältnis zu den Themen Schuld und Vergebung, das muss auch theologisch mal aufgearbeitet werden“, so Wefers.

Es hat leider auch im Ev. Kirchenkreis Kleve einen Pfarrer gegeben, der Anfang der 70er Jahre sexualisierte Gewalt ausgeübt hat. Ein Betroffener hat sich gemeldet und von den Taten erzählt, die der mittlerweile verstorbene Pfarrer ihm angetan hat. "Wir als Kirche bleiben mit ihm weiterhin im Gespräch, auch Anerkennungsleistungen sind gezahlt worden", so Wefers. In diakonischen Zusammenhängen sind Taten vor allem in Heimen in den 1960-1975er Jahren dokumentiert. „Bei der Diakonie im Kirchenkreis Kleve hingegen habe ich in den Personalakten nichts finden können, das auf Ausübung sexualisierter Gewalt hindeutet“, so Pfarrer Wolff. Überhaupt sind Kirchengemeinden, Kirchenkreise und regionale Diakonien (noch) nicht nach Akten gefragt worden. Fraglich ist ebenso, ob Personalakten überhaupt das liefern können, was man von ihnen erwartet. Wolff schildert, dass die Diakonie an einem Gewaltschutzkonzept arbeite, dass für alle Mitarbeitenden gelten solle. „Sexualisierte Gewalt ist tatsächlich ein Thema, das unsere Pflegefachkräfte in anderer Richtung beschäftigt“, so Wolff, denn: „Sie werden bisweilen an Stellen angefasst, wo sie von Pflegekunden nicht angefasst werden möchten.“ Wenn sich nach einem Gespräch nichts ändere, würden Pflegeverträge auch gelöst.

Die Studie zeigt sehr deutlich: Missbrauchsfälle sind auch in der ev. Kirche und der Diakonie keine Einzelfälle. Erst jetzt, seit die ev. Kirche das Thema Aufarbeitung aktiv angeht, melden sich vermehrt Betroffene. Viele schildern Taten, die lange zurückliegen, wenn Beschuldigte teilweise verstorben sind. Es kostet Betroffene unendlich viel Mut, sich zu öffnen und Geschehnisse zu berichten. Dennoch ermutigen wir als Kirche dazu, denn nur dann können wir zuhören, Hilfe und Unterstützung anbieten.

Prävention muss immer ein Thema bleiben. In diesen Wochen bildet sich eine regionale Aufarbeitungskommission, bestehend aus unabhängigen Expert*innen verschiedener Disziplinen und Mitgliedern des Betroffenenforums. Sie werden noch mal kleinteiliger aufarbeiten und Prävention im Blick behalten. Die Mitglieder dieser Kommission werden von der Landesregierung benannt, die Geschäftsführung wird bei der Diakonie RWL liegen, dort bei der Fachstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS). Wir als Kirche müssen unsere „Hausaufgaben“ besser machen als in der Vergangenheit. Vielleicht gelingt es mit der Aufmerksamkeit, welche die Studie jetzt bekommt, auch gesamtgesellschaftlich zu erreichen, dass körperliche und seelische Gewalt bei uns keinen Platz haben.

Mit einer gemeinsamen Stellungnahme haben sich die 20 Landeskirchen und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie der Bundesvorstand der Diakonie Deutschland am 6. Februar 2024 zu den Ergebnissen der ForuM-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie geäußert.

Die Studie wurde hier veröffentlicht: www.forum-studie.de

Kontakte

Ansprechstelle der Ev. Kirche im Rheinland
Evangelische Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung
Claudia Paul
Graf-Recke-Straße 209a
40237 Düsseldorf
Telefon: 0211 / 3610 -312
E-Mail claudia.paul@ekir.de

Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe
Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS)
Leitung: Helga Siemens-Weibring
Lenaustraße 41, 40470 Düsseldorf
Telefon: 0211 6398-302
E-Mail: h.siemens-weibring@diakonie-rwl.de

Ansprechperson im Ev. Kirchenkreis Kleve
Yvonne Petri
Niersstraße 1, 47574 Goch
Telefon: 02823 / 94 44-35
E-Mail: yvonne.petri@ekir.de

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