Zwischen Ethik, Fürsorge und Selbstbestimmung

Bild: Das Organisationsteam der Veranstaltung vlnr.: Dirk Boermann (Diakonie im Kirchenkreis Kleve), Bernard Majkowski (Papillon), Gerd Engler (Vorsitzender TIM-Verein), Detlev Schürmann (TIM-Verein und Wegweiser Betreuungsdienste), Petra Lamers (Petrusheim Weeze)
Kreis Kleve. Die Arbeit mit und für Menschen ist sehr wertvoll wie auch herausfordernd. Der Verbund für Teilhabe und Behandlung (VTB) sowie der Verein zur Förderung der Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung (TIM) im Kreis Kleve hatten zu einem ersten gemeinsamen Fachtag eingeladen. Für die Impulsreferate und Workshops renommierter Referentinnen und Referenten im Kolpinghaus Kleve interessierten sich über 100 Teilnehmende aus der sozialpädagogischen und psychiatrischen Arbeit.
„Zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung – Dilemmata in der gemeindepsychiatrischen Versorgung“ lautete der Titel der Tagung. Es ist mitunter gar nicht so einfach, neben der eigenen sozialpädagogischen, psychologischen oder psychiatrischen Fachkompetenz gleichzeitig Grundsätze aus den Bereichen Ethik, Moral und Gesetz zu beherzigen. Sie können sich bisweilen gegenseitig ausschließen: Dr. Elke Prestin, tätig in der psychiatrischen Versorgungsforschung, skizzierte das Spannungsfeld zwischen Menschenwürde, Autonomie und Fürsorge. Einerseits: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Paragrafen 1 des Grundgesetzes. Und weiter in Paragraf 2: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“. Andererseits könne „Fürsorge“ bedeuten, Menschen vor sich selbst und anderen zu schützen. Dr. Prestin: Jede notwendige Zwangsmaßnahme durch den Staat oder durch den Staat beauftragte professionelle Institutionen schränkt die Selbstbestimmung ein und sollte tatsächlich nur eine „ultima ratio“, eine letzte Lösung sein. Dazu gehören die Aufenthaltsbestimmung, Zwangsernährung, Zwangsmedikation oder Fixierung im Bett. Sie beleuchtete weitere Formen: Informelle Zwangsmaßnahmen, wie das Vorenthalten von Informationen zu alternativen (Be-)handlungsoptionen eines Patienten, würden bislang nur selten diskutiert. Ebenso übten das Belohnen oder Bestrafen von mehr oder weniger mitarbeitenden Patienten oder betreuten Personen einen Zwang aus. Und wie überall sind Fachpersonal und finanzielle Ausstattung ausbaufähig: „Es fehlt in unserem Gesundheitssystem die Wertschätzung der Menschen, die sich aufrichtig und ehrlich um Menschen kümmern“, so Prestin. Therapieerfolge seien nur durch Aufbau emotionaler Bindungen und Vertrauen in die Hilfestruktur erreichbar.
„Wir haben alle ein Recht auf Gesundheit und Krankheit“, sagte Dr. Dirk Stalinsiki, Amtsgerichtsdirektor in Emmerich in seinem Vortrag. Er wies darauf hin, dass Angelegenheiten eines rechtlich Betreuten so zu regeln sind, dass dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Leben nach seinen Wünschen gestalten kann. Auch wenn dazu – selbstbestimmt – Zigaretten oder ein vernachlässigter Garten gehörten. Stalinski skizzierte „juristische Leitplanken eines unvernünftigen und selbstbestimmten Lebens“.
„Die ethische Fallbesprechung“ war Thema des Vortrags von Prof. Dr. med. Susanne Hirsmüller und Diplompsychologin Margit Schröer. Beide sind seit vielen Jahren mit ethischen Fragestellungen im Gesundheitswesen, speziell an Kliniken befasst. Viel Aufmerksamkeit bekam auch Prof. Dr. Klaus Gérard Nouvertné für seinen mitreißenden Vortrag „Ethik in der Gemeindepsychiatrie“. Er leitete in Solingen eines der ersten gemeindepsychiatrischen Verbundsysteme in Deutschland. Alle Referenten standen nachmittags während anderthalbstündigen Workshops zur Vertiefung ihrer Themen bereit.
Gerd Engler, Vorsitzender TIM e.V., zeigte sich nach der Veranstaltung sehr zufrieden: „Alles stimmte, das Thema, die Referentinnen und Referenten, der Veranstaltungsort, die Organisation. Es gab ausschließlich positive Rückmeldungen der Teilnehmenden.“